Ein Buch aus der Fischer Taschenbibliothek hatte ich zuvor noch nicht in der Hand gehabt, deshalb war ich auch ganz verblüfft, als mir auffiel, dass es von der Größe her tatsächlich in eine Hosentasche passen könnte – handlich klein, mit so dünnen Seiten, durch die man zwar durchgucken, aber gut blättern kann.
»Gone Girl – Das perfekte Opfer« kannte ich zuerst nur als Film mit Ben Affleck und Rosamund Pike in den Hauptrollen. Mir gefiel die Idee der betrogenen und vernachlässigten Ehefrau, Amy Dunne, wie sie ihren teuflischen und von langer Hand ausgeklügelten Plan, ihren Ehemann, Nick Dunne, zu verlassen und ihn zudem als ihren Mörder hinter Gitter zu bringen, in die Tat umsetzt – bis auf die Stelle im Handlungsplot, als Amy Dunne dann zu ihrem Mann zurückkehrt. Da es sich um eine Verfilmung handelt, wollte ich wissen, inwieweit die im Film gezeigten Szenen mit denen im Buch übereinstimmen. Man möge mir verzeihen, dass mir die Autorin, Gillian Flynn, vorher völlig unbekannt war.
Während des Lesens habe ich mich oft gefragt, wer von den Eheleuten Dunnes das perfekte Opfer sein soll – Amy oder Nick? Mit Bezug zum Titel Gone Girl denke ich schon, dass die Autorin Amy als perfektes Opfer darstellen möchte. Ich finde, das gelingt ihr aber nicht. Amy als Opfer ist nicht perfekt, weil sich die Protagonistin in ihrem Versteck – diesem Hüttenareal, wo sich nur Loser aufhalten – zu sehr entspannt, Freunde sucht und findet, und leider leichtsinnig wird. Hier hätte ich die Figur der rachsüchtigen Ehefrau anders entwickelt, damit sie tatsächlich für die nichtsahnende Öffentlichkeit zu einem perfekten Opfer werden kann. Auch Nick Dunne sehe ich nicht als perfektes Opfer. Es sei denn, er wäre in seinem Wesen wirklich ein langweiliger Mann, so wie er sich selber sieht, und der außerdem keine Affäre mit einer viel jüngeren Frau hätte. Er sei Amy überdrüssig geworden, sie habe sich beengt gefühlt, er habe ihr ihre Freiheit genommen, weil er mit ihr nach North Carthage in Missouri gezogen ist, weit weg von ihrem geliebten New York. Wenn bei diesem Hintergrund Amy ihre Show dann so wie im Buch abgezogen hätte, dann hätte ich Nick Dunne als das perfekte Opfer verstehen können, weil er, nach der ganzen Demütigung und Bloßstellung in der Öffentlichkeit, in die Todeszelle gehen müsste, aber auch nur, wenn Amy nicht zurückkommen würde.
Gillian Flynn entschied, dass Amy zurückkehren muss, weil Desi Collings – dessen Hilfe sie braucht, nachdem man ihre gesamten Ersparnisse gestohlen hat – sie für sich einnehmen und manipulieren will, und von dem sich Amy nicht anders befreien kann, als ihn umzubringen. Desi Collings als Entführer und Vergewaltiger darzustellen, ist Amys Möglichkeit, ihr Verschwinden zu erklären.
Durch Amys Rückkehr fällt der Spannungsbogen der Geschichte aber runter bis in den Keller und mit Blick zum Ende sehe ich nun wirklich kein perfektes Opfer mehr. Vielmehr sind die Eheleute Dunne beide Opfer ihrer Hassliebe und zerstören sich durch ihren unter Zwang gemeißeltes Zusammenleben selbst.
Laut meiner Recherche hat die Autorin, Gillian Flynn, am Drehbuch mitgearbeitet – dies tut einer Verfilmung immer gut und erübrigt die Frage, ob man sich am Handlungsverlauf im Buch gehalten hat.
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